documenta X
21. Juni - 28. September 1997
Parcours: Kulturbahnhof / Balikino, Unterführung Kulturbahnhof, Unterführung Crossing Treppenstraße, Treppenstraße, Friedrichsplatz, Museum Fridericianum, Ottoneum, documenta-Halle, Orangerie, Karlsaue
Ausstellungsplakat documenta 10
Träger
documenta and Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH
Geschäftsführer
Bernd Leifeld, Frank Petri (authorized offizer)
Ausstellungsleitung
Catherine David
Findungskommission
Dr. Jean-Christoph Ammann, Director Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main, Germany
Regina G. Wyrwoll, Goethe-Institut, München, Germany
Antje von Graevenitz, Professor Art History, Köln, Germany
Kathy Halbreich, Walker Art Center Minneapolis, USA
Donald Kuspit, art critic, USA
Ida Gianelli, Director Castello di Rivoli, Turin, Italy
Nicolas Serota, Director Tate Gallery, London, England
Günter Metken, Art Critic, Paris, France
Assistentin der Künstlerischen Leitung
Hortensia Völckers
Berater
Jean-François Chevrier
Sekretariat künstlerische Leitung
Julia Drost, Susanne Müller
Team
Hortensia Völckers, Jean-Françoise Chevrier, Véronique Dabin, Thomas Mulcaire, Isabelle Merly
Organisation 100 Tage – 100 Gäste
Thomas Köhler, Nadia Tazi
Kurator Website
Simon Lamunière
Theaterskizzen
Tom Stromberg
Marketing und Öffentlichkeitsarbeit
Andreas Knierim
Filmproduzentin
Brigitte Kramer
Corporate Design und Logo
Büro X, Hamburg / Carl von Ommen
Ausstellungsarchitektur
Christian Jabornegg, András Pálffy
Pressesprecherin
Maribel Königer
Technischer Direktor
Winfried Waldeyer
Exponate
570
Gesamtzahl / Künstler / Künstlerinnen
138 / 113 / 25
Besucher
628,776
Budget
21.732.293 DM
Publikationen
documenta documents 1-3
Politics-Poetics. The Book for documentaX
Brief Guide
Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit
Deutsche und Englische Katalog Editionen: 98,- DM
Katalogredaktion
Cornelia Barth
Gitty Darugar: Catherine David, künstlerische Leiterin der documenta 10, Signatur: docA, MS, d10, 10050966
Doppelte Blickrichtung – zurück und nach vorn - Ein Text von Dirk Schwarze über die documenta 10
Die documenta X von Catherine David brachte eine Wende und war heftig umkämpft.
Im Vorfeld hatte es schon Spekulationen gegeben, ob nicht erstmals eine Frau an der Spitze der documenta stehen sollte. Immerhin gab es national und international etliche Kuratorinnen, die Ausstellungshallen oder Museen leiteten. Als dann tatsächlich die Französin Catherine David berufen wurde, war die Überraschung groß, weil man sie auf keiner Rechnung gehabt hatte. Vielleicht war diese Tatsache schon der erste Grund dafür, dass Catherine David soviel Gegenwind zu spüren bekam.
Nichts, so schien es, passte ins Schema. Im Vorfeld der documenta X sprach die Französin lieber über Literatur und Film als über Kunst. Ihr selbstbewusste Art wurde ihr als Arroganz ausgelegt und die Tatsache, dass sie kein Kuratorenteam um sich scharte, sondern mit Assistentinnen arbeitete, bestätigte Kritiker und Skeptiker in der Meinung, die nächste documenta werde ein Misserfolg. Selbst als die Ausstellung schon stand und beim Publikum Zuspruch fand, hielt sich die Meinung, die documenta X sei theoriebeladen und unsinnlich. Zahlreiche Kritiken hatten einen persönlich-diffamierenden Charakter.
Was hatte Catherine David getan? Sie hatte nach Jan Hoets Ausstellung von 1992, die wie ein großes Fest gewirkt hatte, eine Wendung vollzogen und sich von dem Markt abgewandt. Sie wollte aufzeigen, welche Strategien Künstler entwickelt haben, um gesellschaftliche Prozesse zu spiegeln, und wo die Wurzeln dieser Strategien liegen. "Retroperspektive" hieß ihr Konzept: Wie beim Autofahren wollte sie nach vorne sehen, um sich zugleich im Rückspiegel zu vergewissern, wo sie herkommt. So wurden Künstler wie Hans Haacke und Michelangelo Pistoletto mit Arbeiten und Positionen aus den 60er-Jahren vorgestellt. Und Gerhard Richter wurde nicht mit der Präsentation neuer Gemälde gefeiert, sondern mit der Ausbreitung seines Archivs "Atlas", dessen Fotos, Collagen, Zeichnungen und Studien den Fundus bilden, aus dem er schöpft.
Zahlreiche Arbeiten der documenta beschäftigten sich mit den Folgen der Verstädterung und mit den urbanen Konglomeraten in den Randzonen. So kam es Catherine David entgegen, dass sie den am Rand der Innenstadt liegenden Hauptbahnhof mit seinem Südflügel einbeziehen und so einen Parcours vom Bahnhof über die Treppenstraße bis zur Karlsaue entwickeln konnte. Mit großer Intensität hatten sich die Ausstellungsleiterin und ihr Team mit der Stadt Kassel und ihrer Geschichte auseinandergesetzt. Mehrere Aufsätze in dem Katalogbuch legen Zeugnis davon ab.
Schon 1955 waren Filmvorführungen Bestandteil der Ausstellung. Doch erst Catherine David integrierte das Filmprogramm gleichberechtigt in das Ausstellungskonzept. Das Bali-Kino wurde damit zur zweiten Stütze im Kulturbahnhof. Hatte Jan Hoet 1992 über die documenta-Halle gejubelt, fand seine Nachfolgering die Halle für Ausstellungsinszenierungen nicht geeignet. Trotzdem gab sie der Halle eine hervorragende Bestimmung: Jeden Abend um 19 Uhr traf sich eine große Gemeinde in der documenta-Halle, um Vorträge von Künstlern und Kuratoren, von Philosophen und Politikern und von Dichtern und Wissenschaftlern zu hören. Der geistige Horizont, vor dem die Ausstellung angelegt war, wurde in der Veranstaltungsreihe "100 Tage – 100 Gäste" unter immer neuen Bedingungen sichtbar gemacht. Wer Glück hatte, konnte in der Vortragsreihe auch Okwui Enwezor hören, der fünf Jahre später selbst die documenta leitete.
Der Journalist, Kunstkritiker und renommierte documenta-Kenner Dirk Schwarze (1942 - 2017) hat diesen Text 2014 dem documenta archiv zur Verfügung gestellt. Vervielfältigungen und kommerzieller Gebrauch sind, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Zustimmung seiner Witwe erlaubt.