documenta 5
Befragung der Realität – Bildwelten heute
30. Juni bis 8. Oktober 1972
Museum Fridericianum, Friedrichsplatz, Neue Galerie
Ausstellungsplakat documenta 5
Träger
documenta GmbH
Geschäftsführer
Karl Fritz Heise, Walter Olbrich (Verwaltungsdirektor)
Ausstellungsleitung
Harald Szeemann (Generalsekretär)
Arbeitsgruppe
Jean-Christoph Ammann, Arnold Bode, Harald Szeemann
Freie Mitarbeit
Ingolf Bauer (Bildwelten und Frömmigkeit), Karl-Oskar Blase (Videothek), Bazon Brock (Audiovisuelles Vorwort), François Burkhardt (Utopie), Linde Burkhardtz (Spiel und Wirklichkeit), Johannes Cladders (Die Realität von Kunst als Form der Kunst), Reiner Diederich (Politische Propaganda), Konrad Fischer (Idee und Idee/Licht), Richard Grübling (Politische Propaganda), Sigurd Hermes (Filmschau), Hans Heinz Holz (Katalogvorwort), Klaus Honnef (Idee und Idee/Licht), Karl Heinz Krings (Audiovisuelles Vorwort/Technik), Eberhard Roters (Trivialrealismus – Trivialemblematik), Theodor Spoerri (Bildnerei der Geisteskranken), Pierre Versins (Science Fiction), Charles Wilp (Werbung), Kasper König (Maus Museum)
Grafisches Erscheinungsbild
Karl-Oskar Blase
Plakat (mit Ameisenmotiv)
Ed Ruscha
Technische Leitung
Lorenz Dombois, Jacques Caumont
Pressereferent
Klaus Ulrich Reinke
Sekretariat
Gerald Just, Annette Allwardt, Ela Spornitz, Linda Weyer
Exponate
1.056
Gesamtzahl / Künstler / Künstlerinnen
222 / 205 / 17
Besucher
230.000
Eintrittspreise
1 Tag: 7 DM, ermäßigt 3,50 DM
2 Tage: 12 DM
3 Tage: 15 DM
Zehnerkarte: 50 DM
Gruppe: 5 DM/Person
Budget
3.480.000 DM
Katalog
1 Ringbuchordner Bd. 1: Materialien;
Bd. 2: Exponatenliste
documenta GmbH / C. Bertelsmann Verlag
1 Ringbuchordner: Aufl.: 20.000: 65,- DM
Katalogredaktion
Harald Szeemann, Marlis Grüterich, Katia von den Velden, Jennifer Gough-Cooper
Carl Eberth: Harald Szeemann begrüßt Bundesminister Lauritz Lauritzen (li.), Arnold Bode und OB Karl Branner (re.), Signatur: docA, MS, d5, 10010572_30.06.1972
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Brigitte Hellgoth: Raumansicht mit Werken von Richard Long (vo.) und Hanne Darboven, Signatur: docA, MS, d5, 10010582
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Brigitte Hellgoth: Blick in die Rotunde des Fridericianums mit „accelerazione = sogno, numeri Fibonacci neon piu motocicletta fantasma“ von Mario Merz, Signatur: docA, MS, d5, 10010586
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Brigitte Hellgoth: Besucher betrachten „Seated Artist“ von Duane Hanson, Signatur: docA, MS, d5, 10010633
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Brigitte Hellgoth: In der Abteilung „Parallele Bildwelten: Gesellschaftliche Ikonographie“ in der Neuen Galerie, Signatur: docA, MS, d5, 10010638
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Carl Eberth: Protestaktion der Bauhaus-Situationisten auf dem Friedrichsplatz, ganz links ist „RAD“ von Bertram Weigel, im Hintergrund „Oase“ von Haus-Rucker-Co zu sehen, Signatur: docA, MS, d05, 10010701
Fast die ganze Welt der Bilder - Ein Text von Dirk Schwarze über die documenta 5
Mit der documenta 5 vollzog sich eine Wende in der Kunstpräsentation
Keine zweite documenta wandelte sich im Bild der Öffentlichkeit so stark wie die, die der Schweizer Harald Szeemann 1972 organisierte. Gleich mehrere Gründe gab es dafür. Der wohl wichtigste war, dass die herkömmliche Vorstellung von Kunst nicht mehr funktionierte. Es ging nicht nur um Bilder, Objekte und Räume, sondern plötzlich wurden auch Aktionen und Ereignisse, Fotografien und Videos, Steinkreise und Diskussionsräume als Kunstwerke vorgestellt. Nur wenige Besucher waren darauf vorbereitet.
Der Teil der Besucher und der Kritik, der sich immer noch nicht mit der Moderne hatte versöhnen lassen, unternahm 1972 einen letzten Aufstand gegen die schrankenlose Erweiterung des Kunstbegriffs. Aber auch die Kritiker, die Parteigänger der Moderne waren, hatten Mühe, sich in dem vermeintlichen Chaos der Bildwelten, zwischen den religiös anmutenden Opferfeiern eines Hermann Nitsch und den Agitprop-Bildern eines Jörg Immendorff, zurecht zu finden.
Im Zentrum stand am Ende doch die Kunst. Doch ihre Ausdrucksformen hätten gegensätzlicher nicht sein können: Fotorealistische Malerei und fast lebensechte menschliche Skulpturen, Joseph Beuys’ "Büro für direkte Demokratie durch Volksabstimmung" und der Singsang eines Fritz Schwegler, der im Stil der Bänkellieder Texte zu Bildtafeln vortrug, sowie der Steinkreis von Richard Long und das Luftschiff von Panamarenko. Um diesen Kern der Ausstellung hatten Szeemann und sein Team in enzyklopädischer Weise Abteilungen mit Bildwelten gruppiert, die nur begrenzt mit Kunst zu tun hatten.
Heute gilt die documenta 5 als die Wendemarke in der Kasseler Ausstellungsgeschichte. Sie öffnete das Tor zur Kunst des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts. Die Nachfolgeausstellungen bis zur documenta IX von Jan Hoet waren durch sie geprägt. Nicht umsonst wählte das documenta Archiv Harald Szeemanns Ausstellung aus, um an ihrem Beispiel in einer Ausstellung ("Wiedervorlage d5") im Jahre 2001 zu demonstrieren, was ein Archiv zur Aufarbeitung der documenta-Geschichte zu leisten vermag.
Erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, welche Leistungen die documenta 5 vollbracht hatte. Der Blick auf ihre Pioniertat war auch deshalb getrübt, weil das Defizit in Höhe von 800.000 Mark Szeemann persönlich angelastet werden sollte. Erst nachdem die Ausstellungs- und Museumsleiter angedroht hatten, nie wieder ein Ausstellungsprojekt in Kassel zu unterstützen, rückten die Verantwortlichen von Regressforderungen ab.
Aus Kasseler Sicht war die documenta 5 auch mit der schmerzlichen Erfahrung verbunden, dass sich die Ausstellung, die 1955 aus dem Kreise ihrer Bürger geschaffen worden war und an deren Spitze 13 Jahre lang Arnold Bode gestanden hatte, verselbständigte und internationalisierte. Zum ersten Mal liefen die Planungsfäden nicht in Kassel, sondern im fernen Bern zusammen. Und Arnold Bode, der sich nach den Erfahrungen von 1968 vom documenta-Rat als Leitungsgremium verabschiedet und zusammen mit anderen als Generalsekretär vorgeschlagen hatte, musste auf einmal realisieren, dass er und seine Kasseler Kollegen keine Rolle mehr spielten. Er war als Galionsfigur noch dabei, er sorgte auch dafür, dass Edward Kienholz’ Environment "Five Car Stud" in einem Zelt neben der Neuen Galerie gezeigt werden konnte, doch es war die erste documenta ohne ihn.
Der Journalist, Kunstkritiker und renommierte documenta-Kenner Dirk Schwarze (1942 - 2017) hat diesen Text 2014 dem documenta archiv zur Verfügung gestellt. Vervielfältigungen und kommerzieller Gebrauch sind, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Zustimmung seiner Witwe erlaubt.