„In ihrer thematischen Breite stellen meine Installationen nicht nur die banale Kultur des modernen Massentourismus bloß, sie fokussieren ebenso intellektuelle Themen. Mit ihnen untersuche ich die fragwürdige fetischistische Annäherung an historische Personen und ihre ‚Hinterlassenschaft‘ – Komponisten-Sterbezimmer, Historische Stühle, Historische Lederhosen.“ (Guillaume Bijl zum Thema Kulturtourismus, 1998)

 

Der belgische Konzeptkünstler Guillaume Bijl ist am 14. Juni 2025 mit 79 Jahren gestorben. Typisch für das Werk des künstlerischen Autodidakten ist das humorvolle Spiel mit Alltagssituationen, Kitsch und musealen Präsentationsformen. Als postmoderne Aktualisierung von Marcel Duchamps Objet trouvé verwandeln seine charakteristischen Objekt-Konstellationen alltägliche Räume in bühnenartige Dioramen und Tableaux vivants der absurden Poesie.   

 

Ein besonderes Beispiel seiner ironischen Raumkunst realisierte er 1992 auf der documenta 9: Für die Dauer der Ausstellung verwandelte er die vorgelagerten Vitrinen an der Gebäudeseite des damals frisch renovierten und neueröffneten Kaufhauses Sinn und Leffers in die Schaufront eines unheimlichen Figurenkabinetts. Unter dem Titel Die Geschichte der documenta Wachsmuseum/The History of documenta Wax Museum traten den Passant*innen regungslose Abbilder historischer Persönlichkeiten der Ausstellungsgeschichte gegenüber: Arnold Bode und seine Frau Marlou, gerahmt von stereotypen Attributen der Moderne (eine Klee-Reproduktion zur Linken, eine Arp-Kopie zur Rechten);  Joseph Beuys in militärisch steifer Pose, mit eingefallenen Wangen, Anglerweste und Hut in Begleitung einer Fettecke; und zu guter Letzt: Jan Hoet, der Künstlerische Leiter der documenta 9 – wie zu Lebzeiten einbalsamiert, neben einen Ausstellungsplakat stehend, flankiert von einem ausgestopften Schwan. Die gesamte Schauvitrine war mit einem historisierenden Gesims versehen und in goldener Frakturschrift betitelt. Alle rahmenden Elemente waren schwarzglänzend lackiert wie ein viktorianischer Leichenwagen.

 

Mit der Überblendung von documenta und Madame Tussauds brachte Guillaume Bijl die Geschichte der documenta abbreviaturhaft auf den kleinsten Nenner. Weder Karikatur noch Hommage und doch beides zugleich, changierte seine Installation zwischen Komödie und Kritik und lud zur Dekonstruktion des documenta Mythos ein. Neben der (Selbst-) Historisierung des Formats adressierte sein Beitrag virulente Phänomene wie Kulturtourismus, Eventkultur und Kommerz.

 

Als zweiter – weniger bekannter – Beitrag Guillaume Bijls zur documenta 9 entstand außerdem die Vogel-Installation: Insgesamt 15 ausgestopfte Vögel (Krähen, Stare, Elstern) wurden unauffällig auf und zwischen den Gebäuden des neu hergerichteten (und bis auf weiteres mit einer skulpturalen Treppe bereicherten) Königplatzes platziert; Auf Straßenlaternen und Dachrinnen sitzend, inmitten nichtsahnender Passant*innen und sonstiger Stadtfauna, fügten sie sich unauffällig in die Szenerie des Alltags ein.

 

Von 2001–2011 lehrte Guillaume Bijl als Professor an der Kunstakademie Münster. Ebendort realisierte er für die Skulptur Projekte 2007 ein Werk seiner Serie Sorry Installations, für das er eine archäologische Ausgrabung inszenierte und ein einen (scheinbar) verschütteten Kirchturm aus dem Erdboden auftauchen ließ.

 

Bijls 1992 entstandenes documenta Wachsmuseum ging später auf internationale Ausstellungstournee und befindet sich heute in kanadischem Privatbesitz. Für die Jubiläumsausstellung zum 50-jährigen Bestehen documenta (2005) kehrte es noch einmal kurzzeitig nach Kassel zurück. Zwanzig Jahre nach der „Premiere“ in Kassel erhielt sein Figurenkabinett eine Fortsetzung im Rahmen einer Ausstellung im belgischen Knokke: Im Die Geschichte der documenta Wachsmuseum 2 erhielten diesmal Harald Szeemann, Bruce Nauman und James Lee Byars einen taxidermischen Auftritt.