Metamorphosen des Buches

"Als Informationsvermittler ist das Buch ein Körpermuffel: Vertieft der Leser sich in den Inhalt, so verliert das Buch zunehmend an Körperlichkeit, an Sichtbarkeit und Evidenz. Die Fingerspitzen des Lesers vergessen, daß sie ein Buch in Händen haben; seine Augen die Form der Buchstaben, die sie lesen. Das Buch verschwindet in seiner Körperlichkeit aus dem Bewußtsein des Lesers. [...] Anders liegen die Dinge beim beim Künstlerbuch. Das seine ästhetische Eigeninformation vermittelnde Buch krallt sich mit der Gesamtheit seiner körperlichen, sinnlichen Reize im Bewußtsein des Lesenden fest."

Mit diesen emphatischen Worten bringt Rolf Dittmar im Katalog der documenta 6 die Besonderheit des künstlerischen Mediums "Buch" auf den Punkt: Damals wurden zum ersten Mal Künstler*innenbücher, Buchobjekte und "Konzept-Bücher" in einer eigenständigen Sektion innerhalb einer documenta präsentiert (nachdem die Buchkunst bereits bei der zweiten documenta einen Auftritt innerhalb der Abteilung Druckgrafik gehabt hatte). Der Wiesbadener Rechtsanwalt und passionierte Büchersammler Dittmar (1924-1999) war 1977 gemeinsam mit dem New Yorker Kunsthistoriker und -kritiker Peter Frank federführend für die Konzeption der Abteilung "Metamorphosen des Buches" im Obergeschoss der Neuen Galerie. Ausgehend von der neu aufkommenden Buchkunst- und Malerbuch-Bewegung der 1950er und 60er-Jahre versammelte die damalige Schau so unterschiedliche Positionen wie Dieter Roths gebundene und gestanzte Ausschnitte isländischer Tageszeitungen, die konkrete Poesie Gerhard Rühms, Timm Ulrichs in Stein gemeißelte Aufforderung "Denken Sie immer daran mich zu vergessen" (als Grabstein in Form eines aufgeschlagenen Buches) oder Alice Kochs "Knüll-Book" - ein Knüllobjekt in Plastiktüte im Plastikeinband.

Anhand ausgewählter Highlights gibt unsere aktuelle Studioausstellung Einblick in den vielseitigen Bestand der Spezialbibliothek des documenta archivs. Ein besonderes Schlaglicht wirft die Präsentation hierbei auf die historische Sektion Buchkunst der documenta 6, ergänzt um vielseitiges dokumentarisches Material zu besonderen Buchkunstwerken aus der Geschichte der documenta: von Hubertus Gojowczyks gemauerter "Tür zur Bibliothek" (entstanden zur documenta 6, 1977, heute als permanente Installation in der Neuen Galerie) über Marta Minujíns "Parthenon der Bücher" (1983/2017, documenta 14) bis zur lumbung press der documenta fifteen.

 

Die Ausstellung wird ergänzt durch einen Handapparat mit Literatur zum Stöbern und Nachlesen.


Wir laden Sie herzlich ein!
Begeben Sie sich in die Welt der Buchkunst und lassen Sie sich sinnlich krallen.


Kuratiert von Emily Denyer und André Biribanti

Zu sehen im Lesesaal des documenta archivs

Kulturhaus Dock4
Untere Karlsstr. 4, 34117 Kassel

Dienstag bis Freitag
9.00 bis 16.00 Uhr