Warum waren Sie eigentlich nie auf der documenta?

 

Warum ich nie eingeladen wurde? Ich weiß es nicht. Das hat vielleicht auch mit den Preisen was zu tun [...].
(Daniel Spoerri im Gespräch, 2015, Café Deutschland)

 

Der rumänisch-​schweizerische Objekt­künstler, Tänzer, Künstler-​Kurator und Erfinder der Eat Art Daniel Spoerri ist im Alter von 94 Jahren gestorben.

 

Spoerri wurde 1930 mit dem bürgerlichen Namen Daniel Isaak Feinstein im rumänischen Galați geboren. Als Gründungs­mitglied der Nouveaux Réalistes erlangte er in den frühen 1960er Jahren inter­na­tionale Bekanntheit mit seinen sogenannten Fallen­bildern. Inspiriert von Marcel Duchamps Readymades, verdankte sich die Herstellung dieser "tableaux pièges" der künst­le­rischen Indienstnahme des Zufalls: Spoerri fixierte die Hinter­las­sen­schaften von Mahlzeiten und Banketten mit Klebstoff auf der Tischplatte, kippte sie um 90° in die Vertikale und hängte sie an die Wand. Auf diese Weise brechen seine aleato­rischen Assemblagen – zumindest der Theorie nach – mit herkömmlichen Formen der Kunst­ausübung und laden Betrachter*innen mittels benutzter Teller, leerer Zigaret­ten­schachteln und ausge­drückter Kippen zu neuen Sichtweisen des Alltäglichen ein: "nouvelles approches perceptives du réel" – wie es in der schriftlichen Gründungs­er­klärung des Nouveau Réalisme heißt.

 

"Das tableau piège ist einfach ein Quadratmeter Welt." (Daniel Spoerri)    

 

Als Bindeglied zwischen der Pariser Szene und dem Rheinland, den Niederlanden und der Schweiz zählte der bestens vernetzte Künstler lange Zeit zu den zentralen Vermittlern der europäischen Kunstwelt. Mühelos navigierte er zwischen Fluxus, Zero und Nouveau Réalisme: Schon 1959 gründete Spoerri die Edition MAT (Multi­plication d'Art Trans­formable) zum Vertrieb künst­le­rischer Aufla­gen­objekte in Serie. 1961 organisierte er für das Amsterdamer Stedelijk Museum die epoche­machende Übersichts­aus­stellung zur kinetischen Kunst "Bewogen Beweging". Ebendort realisierte er ein Jahr später gemeinsam mit Jean Tinguely, Robert Rauschenberg, Martial Raysse, Niki de Saint Phalle und Per Olof Ultvedt die ebenso legendäre Ausstellung "Dylaby". Mit der Gründung des Düsseldorfer "Restaurant Spoerri" (1968) und der angeschlossenen Eat Art Galerie (1970) avancierte er bald darauf zum Küchenchef der Avantgarde: Als Gastgeber und  Galerist empfing er dort die inter­na­tionale Kunstszene zu Ausstellungen und künst­le­rischen Kochaktionen.

 

In Kassel wäre Daniel Spoerri hingegen (beinahe) unberück­sichtigt geblieben: Im Vorfeld der documenta 4 (1968) erscheint sein Name zwar auf einzelnen vorläufigen Auswahllisten (docA, AA, d04, 53), doch zu einer Kontakt­aufnahme kam es nicht 

 

Dies änderte sich mit Harald Szeemanns documenta 5 (1972): Szeemann, der Spoerri bereits in seine Kölner Ausstellung "Happening und Fluxus" (1970/71) aufgenommen hatte, stand mit dem Künstler über Monate im Austausch. Die lebhafte Korre­spondenz dieser Zeit veran­schaulicht die Bemühungen des Künst­le­rischen Leiters und seiner Mitarbeiter*innen Jean-​Christoph Ammann und Marlis Grüterich, den Künstler für eine Teilnahme an der documenta 5 zu gewinnen (docA, AA, d05, 127): Als mögliche Beiträge sind hierbei die (kuratorische) Gestaltung einzelner Ausstel­lungs­ab­teilungen durch Spoerri, die Entwicklung eines Fallenbildes und die Durch­führung einer Eat Art-​Aktion in Anlehnung an die "Ultima Cena" im Gespräch – eine Aktion, die Spoerri 1970 in Mailand durch­geführt hatte. Für das geplante künstlerisch-​kulinarische Projekt sollten offenbar Torten und andere Lebensmittel als verzehrbare Kunstwerke produziert und zum Verkauf angeboten werden. Doch nachdem die Finan­zierung der Aktion durch den italie­nischen Lebens­mit­tel­konzern Motta S.P.A. scheiterte, verlaufen die Spuren im Sand: Auch die documenta 5 fand ohne Daniel Spoerri statt.

 

Fast unbemerkt – und anscheinend sogar ohne Kenntnis des Künstlers – schaffte er es letzten Endes übrigens doch noch auf eine documenta: und zwar mit einem Künst­lerbuch, das 1977 innerhalb der Abteilung "Buchkunst" der documenta 6 zu sehen war.  

 

Folgende Infor­mationen zum Exponat finden sich auf den zweiten Blick im Katalog der documenta 6:
 

Ausstel­lungs­katalog: Daniel Spoerri, 1968, Düsseldorf; 27,5 x 18,8 x 4,8 cm, Stoff­einband mit eingelegten Objekten, Ex. 28/33 signiert.

 

Vorzugs­ausgabe des in 800 Exemplaren erschienenen Katalogs einer Ausstellung in der Galerie Gunnar; hergestellt aus aus Teilen der Kleidung Spoerris anläßlich einer Aktion am 17.5.1968; enthält die Einladung, den Katalog, die Zeitschrift "le petit colosse de Symi" Nr. 1-4, die Druckplatte einer Katalog­ab­bildung, eine signierte Fotografie und eine signierte Grafik von [André] Thomkins.