Schönheit liegt im Auge des Betrachters, gleiches gilt für Kunst. Willi Bongard (1931-1985) präsentierte in seinem Informationsdienst art aktuell zur documenta 5 eine radikal andere Sicht. Als Kunst- und Wirtschaftsjournalist standen beim Besuch einer Kunstausstellung für ihn nicht die Betrachtung visuell ansprechender Objekte im Fokus, sondern das Erkennen der wahren, großen Kunst. Die entscheidenden Kriterien, um sich ein Urteil bilden zu können, teilte er mit seinen Leser*innen in seiner „Gebrauchsanweisung für die documenta 5“.

 

Was man heute vielleicht als humoristische Anleitung für den nächsten documenta Besuch lesen könnte, erweist sich bei näherer Betrachtung als eine Art Kriterienkatalog für wichtige und überdauernde, zeitgenössische Kunst. Schon zu Beginn stellte er klar, was die documenta seiner Ansicht nach ist: „Eine ausgezeichnete Informationsmöglichkeit über einige Aspekte des aktuellen Kunstgeschehens – gesehen durch die Brille eines (Szee-)manns.“ Er nahm seinen Leser*innen die Illusion, dass alles auf der documenta Gezeigte große Kunst sei. Sie spiegele nur einen Teil des aktuellen Kunstgeschehens wider und werde zusätzlich noch durch die Sicht des Kurators, in diesem Falle Harald Szeemann, zensiert. Aber auch die zeitgenössische Kunst selbst stufte er kritisch ein. Man dürfe sich nicht von visuellen Reizen täuschen lassen, denn die besten Arbeiten seien meist die, die „Sie am stärksten irritiert, geärgert oder gar schockiert ha[ben].“ Auch wenn es davon nur weniger als ein Dutzend aus den letzten vier Jahren gab.

 

Bongard schulte in dieser Ausgabe seiner von 1971-1985 erschienenen Publikation die Augen seiner Leser*innen, die mehrheitlich dem Kunstklientel zuzuordnen sind. Deutlich wurde dies besonders durch das angefügte Interview mit dem damaligen Kunstkritiker des Tagesspiegels Heinz Ohff (1922-2006) vom 08. April 1970. Auf zweieinhalb Seiten betonte Bongard darin die Objektivität seines Informationsdienstes und legitimierte seine Stellung in der Kunstwelt. Wer sich also für die nächste documenta wappnen und seinen Kunstkennerblick schulen möchte oder auch einfach nur einmal etwas zum Schmunzeln benötigt, der sollte einen Blick in Bongards Gebrauchsanweisung wagen. Das Dokument befindet sich im Aktenarchiv im Bestand der documenta 5 und kann im Lesesaal nach vorheriger Anmeldung eingesehen werden.

 

Natalie Schmidt